Intermezzo Nummer eins: Vorführung des Künstlers

[…]

Plötzlich habe man dann beobachten müssen, wie der Ast gebrochen, das Seil unter den Sohlen, den Füßen des Mannes nach unten geglitten, entwichen sei, aber er, der Mann, der Künstler oder Artist habe sich nichtsdestoweniger am durchsichtigen Himmel festgehalten, seine Finger in die Spalten, Ritzen und Zwischenräume der Luftmauern gekrallt, sei weiter den durchsichtigen Himmel hinaufgeklettert, obwohl das Seil wirklich ganz offensichtlich unter ihm hinuntergefallen sein soll, der Mann sei durch die zitternden Schlieren gestiegen, bis er noch etwas weiter oben die Kuppe der ersten Luftmauer erreicht habe, sei über die erste Luftmauer gestiegen und im durchsichtig weißen Himmel verschwunden.

Anderen Erzählungen zufolge soll der Mann allerdings samt dem Seil heruntergefallen sein, und zwar so unglücklich, daß sein Rücken auf der Stange der Brunnenwinde aufgekommen und sein Körper reglos abgeknickt über dem Brunnen, worauf einige Leute reglos geschrien und wie am Spieß gebrüllt haben sollen, andere wiederum Hüte in die Luft geworfen oder in die Rocktaschen gegriffen, die restlichen Münzen hervorgeholt und in die Mitte des Platzes geworfen haben, man habe das viele Geld eingesammelt, wahrscheinlich wohl für das Begräbnis, sagt man, und angeblich sollen die Gehilfen mit den Aufräumungsarbeiten begonnen haben, wäre auch gar nichts anderes übriggeblieben, behauptet man, hätte wirklich nicht alles so liegenbleiben können, soll richtig unanständig ausgeschaut haben.

aus: Gert Jonke, Geometrischer Heimatroman, Frankfurt am Main 1969, S. 28

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