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Prolog - Vom Sterben in den Lazaretten (1813)



»Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen,
Hell aus dem Norden bricht der Freyheit Licht.
Du sollst den Stahl in Feindes Herzen tauchen,
Frisch auf, mein Volk! - Die Flammenzeichen rauchen,
Die Saat ist reif, ihr Schnitter, zaudert nicht!
Das höchste Heil, das letzte liegt im Schwerte!
Drück` dir den Speer in`s treue Herz hinein,
Der Freyheit eine Gasse! - Wasch` die Erde,
Dein deutsches Land mit deinem Blute rein!


Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen,
Es ist ein Kreuzzug, `s ist ein heil`ger Krieg!
Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen
Hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen;
Errette sie mit deiner Freyheit Sieg!
Das Winseln deiner Greise ruft: ›Erwache!‹
Der Hütte Schutt verflucht die Räuberbrut!
Die Schande deiner Töchter schreyt um Rache,
Der Meuchelmord der Söhne schreyt nach Blut.


Zerbrich die Pflugschar, laß den Meißel fallen,
Die Leyer still, den Webstuhl ruhig steh`n!
Verlasse deine Höfe, deine Hallen! -
Vor dessen Antlitz deine Fahne wallen,
Er will sein Volk in Waffenrüstung seh`n.
Denn einen großen Altar sollst du bauen
In seiner Freyheit ew`gem Morgenroth.
Mit deinem Schwert sollst du die Steine hauen,
Der Tempel gründe sich auf Heldentod. -


Was weint ihr, Mädchen, warum klagt ihr, Weiber,
Für die der Herr die Schwerter nicht gestählt,
Wenn wir entzückt die jugendlichen Leiber
Hinwerfen in die Scharen eurer Räuber,
Daß euch des Kampfes kühne Wollust fehlt?
Ihr könnt ja froh zu Gottes Altar treten!
Für Wunden gab er zarte Sorgsamkeit,
Gab euch in Euren herzlichen Gebethen
Den schönen reinen Sieg der Frömmigkeit.


So bethet, daß die alte Kraft erwache,
Daß wir dasteh`n, das alte Volk des Siegs,
Die Märtyrer der heil`gen Deutschen Sache,
O ruft sie an als Genien der Rache,
Als gute Engel des gerechten Kriegs.
Louise schwebe segnend um den Gatten,
Geist unsers Ferdinands voran dem Zug!
Und all` ihr Deutschen freyen Heldenschatten,
Mit uns, mit uns, und unsrer Fahnen Flug!


Der Himmel hilft, die Hölle muß uns weichen!
Drauf wack`res Volk! drauf! ruft die Freyheit, drauf!
Hoch schlägt dein Herz, hoch wachsen deine Eichen,
Was kümmern dich die Hügel deiner Leichen,
Hoch pflanze da die Freyheitsfahne auf! -
Doch stehst du dann, mein Volk, bekränzt vom Glücke,
In deiner Vorzeit heil`gem Siegerglanz,
Vergiß die treuen Todten nicht, und schmücke
Auch unsre Urne mit dem Eichenkranz!«1 


So, wie viele Geschichten enden, beginnt diese bereits: Im Anfang war ein Massengrab. Keine Urne, kein Eichenkranz - nur gelöschter Kalk. Es wurden jene hastig verscharrt, denen es nicht vergönnt war, auf dem ›Felde der Ehre‹ - bei Dennewitz, Großbeeren oder Hagelberg - ins Gras zu beißen. Es waren vor allem die ortsfremden verletzten, verkrüppelten und kranken Soldaten, welche vor ihrem vermeintlichen Einzug in Walhalla oder ähnliche Gefilde einen Umweg über die Berliner Lazarette nahmen und in tage- oder wochenlangem Siechtum, meist am grassierenden Typhus - dem Nerven- oder Lazarettfieber -, jämmerlich verreckten. Der Berliner Arzt Christoph Wilhelm Hufeland skizzierte seinerzeit den Verlauf der Erkrankung in professioneller Nüchternheit: »Nach mehrtägigem Gefühl von Unwohlseyn begann das Fieber mit Frösteln, darauf folgender mäßiger Erhöhung der Wärme, großer Ermattung, Mangel an Eßlust, vorzüglich aber drei karakteristischen Symptomen, Betäubung oder vielmehr ein Gefühl von Berauschtheit im Kopfe, etwas Zitternden in den Gliedern, so daß es ihnen schwer war etwas fest zu halten, und eine besondere Schwäche der Füße, die das Stehen fast unmöglich machte. Die Zufälle stiegen nun mit jedem Tage, hauptsächlich die des Kopfs; heftige Kopfschmerzen, zuweilen aber auch nur ein Gefühl von Druck im Kopf, Schläfrigkeit und doch unruhiger, unterbrochener Schlaf, Delirien, ein bald häufiger, bald langsamer, ungleicher, zuweilen voller, zuweilen weicher und kleiner, niemals harter, Puls, immer trockne Haut, erhöhete, zuweilen brennende, zuweilen aber auch fast natürliche, Wärme, häufig Petechien, der Urin jumentös, mit Zunahme der Krankheit roth, feurig, oft ganz braun wie Bier, mit vielem schweren kleyenartigen Bodensatz, zuletzt oft plötzlich wasserhell, zuweilen mit einem kleinen Wölkchen ganz oben schwebend - ein sicheres Anzeichen des nahen Todes - zuletzt Schluchzen, Sopor oder Rasereien, mit dem Trieb davon zu gehen, Lähmungen des Schlundes und der Zunge, bewußtloser Abgang des Stuhls und Urins, - das waren die karakteristischen Symptomen der ausgebildeten und ihren höchsten Grad erreichenden Krankheit. Der Tod erfolgte soporös, apoplectisch, zwischen dem 5ten und 18ten Tage.«2 

»Eine der abstoßendsten Formen des ›Heldentodes‹«3 nennt Klaus Latzel das Sterben in den Lazaretten. In Berlin waren diese »in demselben Zustand geblieben, wie die Franzosen sie verlassen hatten (nämlich von allem und jedem Gerät und Zubehör, das vor dem Abzug meistbietend verkauft war, entblößt) und sogar ungereinigt zurückgelassen worden. Das große Lazarett bei Monbijou ward nur dadurch erhalten, das die Hotho- und Welpersche Fabrik ihre Kessel zum Kochen hergab.« Eine »nie zu erklärende Nachlässigkeit […] der Regierung«4, wie die Chronistin, Gräfin Sophie Schwerin, betonte.

»Das Sanitätswesen war derart vernachlässigt«, so Adolf Hüppi, »daß es noch 1830 in einem englischen Werk über militärische Chirurgie heißen konnte, in allen großen Armeen gingen mehr Menschen durch gewöhnliche Krankheit als durch das feindliche Schwert zugrunde, ja vielleicht seien mehr Feldzüge durch Erkrankungen als durch den Kampf entschieden worden. […] Wenn man also hier und im folgenden von der Vernachlässigung der Kriegsverwundeten liest, so wird man daraus schließen müssen, um wie viel mehr damals die Kriegstoten, die ja zu nichts mehr nützen konnten, vernachlässigt worden sind.«5 Tatsächlich: »Im Mittelalter, im Dreißigjährigen Krieg und noch weit bis in das 18. Jahrhundert hinein«, heißt es in einem einschlägigen Lexikon, »kannte man keine Ehrfurcht vor gefallenen Soldaten, umgekehrt war es sogar üblich, die Gefallenen ihrer wenigen Habseligkeiten zu berauben. Die Leichen blieben auf dem Schlachtfeld liegen, den Raben und Füchsen zum Fraß überlassen, oder man schichtete die Leichen aufeinander und verbrannte sie aus hygienischen Gründen.«6 Aber auch noch für die Zeit der sogenannten Befreiungskriege stellt Klaus Latzel fest: »Auf den Körper der Toten auf dem Schlachtfeld wurde noch keinerlei Regung verschwendet; sie wurden geplündert, geschändet, verbrannt, in Massengräbern vergraben.«7 

Doch zurück zu den Überlebenden. »Die zügellosesten Phantasie ist nicht im Stande, sich ein Bild des Jammers in so grellen Farben auszumalen, als ich es hier in der Wirklichkeit vor mir fand«, berichtete der Arzt Johann Christian Reil dem Freiherrn vom Stein über die Zustände in und um Leipzig nach der ›Völkerschlacht‹. »Man hat unsere Verwundete an Orte niedergelegt, die ich der Kaufmännin nicht für ihren kranken Möppel anbieten möchte. Sie liegen entweder in dumpfen Spelunken, in welchen selbst das Amphibien-Leben nicht Sauerstoffgas genug finden würde, oder in scheibenleeren Schulen und wölbischen Kirchen, in welchen die Kälte der Athmosphäre in dem Maaße wächst, als ihre Verderbniß abnimmt, bis endlich einige Franzosen noch ganz ins Freye hinausgeschoben sind, wo der Himmel das Dach macht, und Heulen und Zähnklappen herrscht. An dem einen Pol der Reihe tödtet die Stickluft, an dem andern reibt der Frost die Kranken auf. Bey dem Mangel öffentlicher Gebäude hat man dennoch auch nicht ein einziges Bürgerhaus den gemeinen Soldaten zum Spitale eingeräumt. An jenen Orten liegen sie geschichtet wie die Heringe in ihren Tonnen, alle noch in den blutigen Gewändern, in welchen sie aus der heißen Schlacht hereingetragen sind. Unter 20.000 Verwundeten hat auch nicht ein einziger ein Hemde, Betttuch, Decke, Strohsack oder Bettstelle erhalten. Nicht Allen, aber doch Einzelnen hätte man geben können. Keiner Nation ist ein Vorzug eingeräumt, alle sind gleich elend berathen, und dies ist das Einzige, worüber die Soldaten sich nicht zu beklagen haben. […] Alle Kranke mit zerbrochenen Armen und Beinen, und deren sind viele, denen man auf der nackten Erde keine Lage hat geben können, sind für die verbündeten Armeen verloren. Ein Theil derselben ist schon todt, der andere wird noch sterben. Ihre Glieder sind, wie nach Vergiftungen, furchtbar angelaufen, brandig, und liegen in allen Richtungen neben den Rümpfen. Daher der Kinnbackenkrampf in allen Ecken und Winkeln, der um so mehr wuchert, als Hunger und Kälte seiner Hauptursache zu Hülfe kommen. Unvergeßlich bleibt mir eine Scene in der Bürgerschule. Ist es Ihr Geist! so rief mir eine Stimme entgegen, als ich die Tür eines Zimmers öffnete, oder sind Sie es selbst, den mir der Himmel zur Rettung zusendet? und doppelte Thränengüsse, von Schmerzen und Freuden gefordert, rollten über das krampfhafte Gesicht herab. Es war ein Kaufmanns-Sohn aus Preußen, der in der Schlacht bei Groß-Beeren verwundet, von mir im Spital des Frauenvereins geheilt und hier wieder im Schenkel verwundet war. Aber deine Hoffnung, armer Jüngling, ist eine leere Fulguration; du hast einen Strohhalm in den wilden Brandungen der Zeit gehascht, der dich gegen die Wellenschläge des Todes nicht schützen wird. Das Mark deiner Knochen ist abgestorben, deine Wunden athmen nicht mehr, und der Todesengel flattert schon um deine Schläfe herum, der dich in wenigen Stunden in eine bessere Welt hinüberführen wird. - Viele sind noch gar nicht, andere werden nicht alle Tage verbunden. Die Binden sind zum Theil von grauer Leinwand, aus Dürrneberger Salzsäcken geschnitten, die die Haut mitnehmen, wo sie noch ganz ist. In einer Stube stand ein Korb mit rohen Dachschindeln zum Schienen der zerbrochenen Glieder. Viele Amputationen sind versäumt, andere werden von unberufenen Menschen gemacht, die kaum das Babiermesser führen können und die Gelegenheit nützen, ihre ersten Ausflüge an den verwundeten Gliedern unserer Krieger zu versuchen. Einer Amputation sah ich zu, die mit stumpfen Messern gemacht wurde. Die braunrothe Farbe der durchsägten Muskeln, die fast schon zu athmen aufgehört hatten, des Operirten nachmalige Lage und Pflege gaben mir wenig Hoffnung zu seiner Erhaltung. Doch hat er den Vortheil davon, daß er auf einem kürzeren Wege zu seinem Ziele kömmt. An Wärtern fehlt es ganz. Verwundete, die nicht aufstehen können, müssen Koth und Urin unter sich gehen lassen und faulen in ihrem eigenen Unrath an. Für die gangbaren sind zwar offene Bütten ausgesetzt, die aber nach allen Seiten überströmen, weil sie nicht ausgetragen werden. In der Petri-Kirche stand eine solche Bütte neben einer anderen, ihr gleichen, die eben mit der Mittagssuppe hereingebracht war. Diese Nachbarschaft der Speisen und der Ausleerungen, - - - - muß nothwendig einen Ekel erregen, den nur der grimmigste Hunger zu überwinden im Stande ist. […] Ich schließe meinen Bericht mit dem gräßlichsten Schauspiel, das mir kalt durch die Glieder fuhr und meine ganze Fassung lähmte. Nämlich auf dem offenen Hofe der Bürgerschule fand ich einen Berg, der aus Kehrigt und Leichen meiner Landsleute bestand, die nackend lagen und von Hunden und Raben angefressen wurden, als wenn sie Missethäter und Mordbrenner gewesen wären. So entheiligt man die Ueberreste der Helden, die dem Vaterlande gefallen sind!«8 

Drauf, wack`res Volk! drauf! ruft die Freyheit, drauf!
Hoch schlägt dein Herz, hoch wachsen deine Eichen,
Was kümmern dich die Hügel deiner Leichen,
Hoch pflanze da die Freyheitsfahne auf! -




1 Theodor Körner, Aufruf [1813], aus: derselbe, Leyer und Schwerdt, Wien 1814, S. 40ff.
2 Christoph Wilhelm Hufeland, Über die Kriegspest alter und neuer Zeit mit besonderer Rücksicht auf die Epidemie des Jahres 1813 in Teutschland, Berlin 1814, S. 57ff.
3 Klaus Latzel, Vom Sterben im Krieg, Warendorf 1988, S.43
4 Gräfin Sophie Schwerin, Vor hundert Jahren, Berlin 1909, S.418
5 Adolf Hüppi, Kunst und Kult der Grabstätten, Olten 1968, S. 407
6 Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel, Reiner Sörries (Hg.), Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, Teil 1: Volkskunde, Kulturgeschichte, Braunschweig 2002, S. 107
7 Latzel, Sterben, S. 43 (wie Anm. 3)
8 nach: Georg Heinrich Pertz, Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein, Dritter Band (1812-14), Berlin 1851, S. 438-442



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