Auf dem Marsch

Die Beine baumeln in den Hüften
Und unsre Knie beugen sich nach vorne tiefer.
Sehr langsam wird die Straße überwunden.
Durch Brandstätten und Mordfelder,
Vor denen uns nicht mehr schauert.
Durch neue Ernte, und Sonne, Sonne,
Die uns nicht mehr wärmt.
Vom vielen Hängen sind die Hände geschwollen.
Das böse Schuhzeug reißt die Füße wund.
Von Schweiß und Staub ist das Gehirn verklebt.
Schlapp zum Hinschlagen.
Aber die Herde treibt alle weiter.
Aus müden Mündern fallen lalle Lieder.
Nur um den Takt.
Kein Mensch freut oder ärgert sich
Über den lieben Gott oder das Vaterland,
Von dem sein Sang singsangt.
Es gibt überhaupt nicht Freude und Haß mehr in uns.
Wir sind so sehr verkommen.
Nur selten richten sich Lustigkeiten auf
Und sind mechanisch.
Manchmal (sehr trostlos) quält einen
Eine Erinnerung: Du meine Mutter
Und: Du meine liebe Frau.
Dann wieder fällt er in die alte Starre
Und stiert vor sich, auf die Kanonenräder,
Die mühsam greifenden,
Wie vom zermahlenen Stein
Die Pulverwolke steigt.
Die Marschkolonne hat den Gleichschritt aufgegeben.
Jeder pendelt im Gleichschritt seiner Körpermaschine.
Irrsinnig eintönig. Irrsinnig eintönig.

Oskar Kanehl, zuerst in: Die Aktion, Nr. 5, Berlin, 25. September 1915, Sp. 489f.

[Heute vor 120 Jahren wurde Oskar Kanehl in Berlin geboren.]

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