[Keiner weiß mehr]

An ihnen war etwas, das man bei älteren Frauen häufig sehen konnte, eine bösartige Haltung, hoffnungslos, damit auszukommen. Eine hartnäckig sich behauptende Bösartigkeit, beziehungslos plötzlich vorhanden, an einer Winzigkeit aufgehängt und tief drin, in ihnen, in jeder einzelnen von ihnen hart geworden, versteift. Alle diese hart gewordenen vertrockneten Erinnerungen an sich selbst Jahre zurück verkommen, abgelagerter Dreck innen wie Haß, der erschrocken machte, weil er so unvorhergesehen da sein konnte, nicht genau zu erkennen warum, aber deutlich vorhanden in einem bestimmten Tonfall. Falten am Hals, um die Augen herum, versteckt gehaltenes ältliches Fleisch, an ihnen erschlafft, schlaff in den steifen Schalen der Büstenhalter hängende Brüste, Beutel, lose Säckchen, die sich in den weißen Büstenhalterschalen stauen. Näpfe. Die Schminke nur so eben angelegt. Und sie konnten noch alles. Waren noch nicht alt. Fuhren Auto, tranken Tee am Nachmittag. Machten dies, machten das. Waren oder wollten sein so etwas wie gute Kameraden, gute Partnerschaften. Dabei blieb einem selbst nichts übrig als einzugehen, wie er an seinen wenigen älteren Bekannten sah, gut situiert, sehr tüchtig, aufgeklärt, ein Dreck. In einer Ecke wurde der Dreck immer aufbewahrt, für sie schon längst nicht mehr sichtbar. Man kann das nicht erklären. Man kann das nicht mehr länger besprechen. Der Dreck, abgelagert in einer Ecke, ist da. Da kommt kein Tageslicht mehr hin. Es gibt eine ganze volle Bücherwand. Es gibt Sessel, in denen man bequem sitzt. Es gibt ein großes buntes Bild in einem dünnen weißen Holzrahmen an der anderen Wand. Es gibt eine hübsche Lampe, die von der Zimmerdecke herunterhängt. Man kann einander darüber nichts mehr sagen, man kann nichts mehr sagen. Man hat ein Wohnzimmer, groß und geräumig, vollständig eingerichtet, und man wohnt darin vollständig eingerichtet miteinander. Man hat so viel Gemeinsames erlebt, man kommt damit jetzt aus, am Ende. Sie werden sehen, es läßt sich nicht verhindern, und eines Tages werden Sie feststellen, es ist so. Am Ende ist man miteinander gewachsen, und man mußte es so hinter sich bringen, wie man es hinter sich gebracht hat. Etwas ist ganz sicherlich gewachsen, etwas, das entstanden ist, und das ist schon Bösartigkeit, das Haß, hübsch arrangiert zu einer dieser üblichen Geschichten darüber, wie man in all den schwierigen Jahren miteinander gewachsen ist. Plötzlich hat man das begriffen. Eine Geschichte, aus Resten erzählt, die Reste passend gemacht, die Einzelteile geordnet zu einer Geschichte, die sich anderen erzählen ließ. Um zu beweisen, wie sich alles nach Jahren geordnet hat, wie von selbst, könnte man denken. Aber hörte er genau hin, auf die Stimme, den Tonfall, die schwindelige kleine Hysterie darin, als ob sie schwanke und gleich umkippe, war es nichts anderes als eben ein Rest, übriggeblieben von irgend etwas anderem und zu einem erbärmlichen Gefühl geronnen, klein in sich zusammengezogen, ganz krümelig, darum so erschreckend.

aus: Rolf Dieter Brinkmann, Keiner weiß mehr, Reinbek 1993 [1968], S. 37f.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert