Bemerkung zur allgemeinen Situation Nummer drei: Das Haus des Schmiedes

[…]

Alle Kinder des Dorfes sollen sich damals vor Jahren immer um den Sandkasten versammelt und in den bewegten Mörtel geschaut haben. Man erzählt, kein einziges Kind habe gelacht. Alle seien sie gebannt gewesen von der für sie dämonischen Bewegung des Mörtels im Sandkasten. Es sei unglaublich, sagt man, daß Kinder auf einmal so ruhig sein könnten. Das habe nur der Mörtel verursacht, sagen die Leute im Dorf. Einige Kinder sollen dann einmal das Gras, das aus den Bodenfugen neben den Seitenwänden der Sandkästen herausgewachsen war, ausgezupft haben. Durch das Herauszupfen des Grases, das seitlich der Bretterwände der Sandkästen gewachsen war, sollen sich aber manchmal die Bretter gelockert haben, und, weil die Grasbüschel während der Zeit ihres Wachstums ihre Wurzeln unter die Bretter gebohrt hatten, im Sandkasten Lücken entstanden sein, und ein wenig Mörtelflüssigkeit aus dem Sandkasten ausgeronnen sein. Der alte Schmied habe das gesehn und die Kinder, die sich um den Sandkasten geschart hatten, um den nassen Mörtel zu beobachten, mit seinem mürrischen Geschimpfe verjagt. Die Kinder seien davongelaufen und hätten plötzlich wieder zu lachen und zu schreien begonnen. Zu Hause haben sie dann alle Schläge bekommen, weil ihre Eltern erfahren haben, daß sie den alten Schmied beim Bau des Hauses gestört, indem sie die Grasbüschel, die bei den Sandkästen auf der Seite herausgewachsen waren, herausgezupft hätten, und dadurch der Mörtel manchmal ausgeronnen sei. Die Eltern sollen ihre Kinder damals richtig hergenommen und angeschrien haben,
– warrte nurr i werr dirr schn gebn altn Schmiid dein Hausbau sterrn Gras auszpfn dass ganza Mertl ausrinnt.
Im ganzen Dorf habe man damals eine gute halbe Stunde lang das Kreischen und Plärren der Kinder gehört, die von ihren Eltern Schläge bekommen, weil sie das Gras auf der Seite der Sandkästen an der Baustelle des alten Schmiedes aufgezupft haben. Durch die geöffneten Fenster der Häuser habe man die Ohrfeigen auf die Gesichter der Kinder schallen gehört, ein richtiges Klatschen von Elternhaut auf Kinderhaut habe das ergeben. Manche Eltern sollen ihren Kindern auch noch zusätzlich die Hosen runtergezogen und die nackten Popos mit den Schlägen ihrer harten hornhautbelegten Handflächen bearbeitet haben. Die Eltern, sagen die Leute im Dorf, hätten ihre Handflächen in Abständen von halben bis dreivierteln Metern auf die erblaßten nackten Kinderpopos fallen gelassen, rund eine halbe Sekunde später wieder in dieselbe Höhe zurückbewegt und diese Bewegung zwanzig- bis fünfzigmal wiederholt, solange, bis die Haut der unter den Schlägen wackelnden Kindergesäße vollkommen errötet gewesen sei.
Man ist im Dorf für eine strenge Erziehung. Lieber zu oft die Hosn runter als nie, ist man im Dorf allgemein der Ansicht. Besser einmal etwas zu viel als immer etwas zu wenig. Der alte Schmied soll, als er damals das Kinderkreischen gehört hat, wohlwollend gelächelt und gesagt haben
– je öfter die Hosn runter, desto besser, je öfter man einem Kinde die Hosn runterzieht, desto leichter wird es später das schwere Leben ertragen lernen und meistern.

aus: Gert Jonke, Geometrischer Heimatroman, Frankfurt am Main 1969, S. 66ff.

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