Einladung zur Ausstellung: HELDENGEDENKEN – ein Foto-Essay

Schaufensterpuppe
Helmut J. Psotta / Arndt Beck
HELDENGEDENKEN – ein Foto-Essay
Eröffnung: 31. Oktober 2008, 19.30 Uhr

Einführung: Prof. Dr. Hans-Ernst Mittig
Musik: Jan Hermerschmidt, Klarinette

Ausstellungsdauer: 2. November 2008 bis 11. Januar 2009

studio im hochhaus – kunst- und literaturwerkstatt
Zingster Str. 25
13051 Berlin
Telefon/Fax: 030/9293821

Öffnungszeiten der Ausstellungen: Mo – Do 11 bis 19, Fr 11 bis 16 und So 14 bis 18 Uhr
S-Bahn (S 75) bis Wartenberg oder Hohenschönhausen Tram M4, M5 / Ahrenshooper Str. M4, M17 / Prerower Platz

HELDENGEDENKEN entstand aus dem zwischen 1999 und 2008 in Berlin erarbeiteten Foto-Essay Autopsie 2000 – Stillstand der Geschichte des bildenden Künstlers Helmut J. Psotta und des Fotografen Arndt Beck. Die Künstler konfrontieren das Denkmal des 20. Juli 1944 im Berliner Bendlerblock mit Schaufensterpuppen aus den Kaufhäusern der Stadt und stellen auf diese Weise Fragen nach Brüchen und Kontinuitäten deutscher Vergangenheit.

Ehrenmal für die Opfer des 20. Juli 19441952 vergab der Berliner Senat den Auftrag für die Gestaltung der Denkmalplastik des Ehrenmals für die Opfer des 20. Juli 1944 im Berliner Bendlerblock, dem heutigen Sitz des Verteidigungsministeriums. Den Zuschlag erhielt der Bildhauer Richard Scheibe, der wenige Jahre zuvor, in der zweiten Reihe der NS-Bildhauerelite stehend, Denkmale wie Die befreite Saar, verschiedene Kriegerehrenmale und einen Adler mit Hakenkreuz1 schuf. Der “Nazi-Aufstand gegen Hitler”, wie Hermann Gremliza den Putschversuch des 20. Juli 1944 zuspitzend nannte, sollte zur Keimzelle der westdeutschen Nachkriegsdemokratie verklärt werden. Bei der Einweihung am 20. Juli 1953 wurde unter dem Eindruck des Arbeiteraufstands in der DDR am 17. Juni 1953 das Monument vom Anti-Hitler- zum Antitotalitarismus-Denkmal “umgewidmet”, die Generäle des Widerstands konnten als Kalte Krieger auferstehen.

Über lange Zeiträume und in den unterschiedlichsten Situationen haben die Autoren die gefesselte Jünglingsplastik des Denkmals beobachtet und fotografisch festgehalten. In ihrem Ausstellungskonzept setzen sie diese Figur in Beziehung zu Fotos von Schaufensterpuppen. Während die Denkmalplastik von Richard Scheibe durchaus nicht auf eine faschistische Ästhetik verweist, hallt in den Plastikpuppen dieses Erbe frappierend wider – als untote Farce.

Wie gesagt, Sie sind herzlich eingeladen – der Eintritt ist frei.

  1. Die hier verlinkten drei Abbildungen stammen aus: Bruno Kroll, Richard Scheibe – Ein deutscher Bildhauer, Berlin 1939, S. 34, 37 und 62

2. November: Führung Friedhof Columbiadamm

Am Sonntag, den 2. November, 11 Uhr, findet wieder eine Führung über den Friedhof Columbiadamm (Berlin) mit mir statt (weiterer Termin: 7. Dezember). Interessenten werden gebeten, sich unter der Nummer (030) 6809-2535 beim Museum Neukölln anzumelden. Treffpunkt ist der Haupteingang des Friedhofs (Columbiadamm 122). Dauer: etwa 2 Stunden, Kostenpunkt: 5,- €, ermäßigt 3,50 €, weitere Informationen hier.

Enteignet HORNBACH!

Bis vor kurzem ließ sich in der Berliner Torstraße 166 das Haus der Vorstellung besichtigen und um dies vorwegzunehmen, nein, ich habe diesem Kunstevent nicht beigewohnt. Wohnen ist allerdings ein gutes Stichwort: Die HORNBACH Baumarkt AG rühmt sich, Initiator dieses “Projekts” zu sein. Versprechen sich Firmen vom üblichen Kunstsponsoring meist “nur” einen recht abstrakten Imagegewinn, hat HORNBACH die Hure Kunst längst in die Knie resp. die Baumarktkasse gezwungen:

Mit der “Torstraße 166 – Das Haus der Vorstellung” hat HORNBACH ein Projekt ins Leben gerufen, das die Vorstellungskraft der Menschen anregen soll. So zeigen in 12 Wohnungen internationale Künstler, was jenseits der standardisierten 3-Zimmer-Küche-Bad-Wohnkultur möglich ist. HORNBACH wünscht eine anregende Wohnungsbesichtigung und hofft, Sie nehmen ein paar Zentner Inspiration mit nach Hause.

Und in reklametypischer Redundanz ergänzt der Vorstandsvorsitzende Albrecht Hornbach:

HORNBACH freut sich, wenn auch Sie zu einer kurzen Wohnungsbesichtigung vorbeischauen, um sich zu Ihrem nächsten Umbau inspirieren zu lassen. Sie wissen ja, wo Sie alles dafür Notwendige samt Hilfestellung bekommen. In diesem Sinne: Viel Spaß bei der Ausstellung wünsche ich allen Heimwerkern und sonstigen Künstlern.

Es ist nicht diese Verächtlichmachung von Künstlern die mich ärgert, denn jene, die Schlange stehen um sich für kleines Geld von HORNBACH korrumpieren zu lassen, verdienen nichts besseres, als Heimwerkern untergeordnet zu werden. Es ist etwas anderes: Auf der Rückseite der 48seitigen, in unbescheidener Auflagen gedruckten, kostenlosen DIN A3 großen Tabloid-Zeitung zur Ausstellung, die – ganz nebenbei – HORNBACH zwei Seiten Werbung einräumt, 16 Mal beim Namen nennt und der zudem, fast hätte ich es vergessen, ein 64seitiges HORNBACH-Prospekt beiliegt, auf der Rückseite dieser Zeitung wird der Name des Frühsozialisten und Philosophen William Godwin geschändet (siehe Abb.).

So unverschämt, anmaßend und vulgär ist Baumarktreklame am Beginn des 21. Jahrhunderts. Und wie antwortet die Kunst des 21. Jahrhunderts? Eine, die die Enteignung HORNBACHs nicht (wenigstens im übertragenen Sinn) fordert, ist keine – eine, die dies schaffte, wäre groß.

Wale, Trojanische Pferde und “Schlitzaugen”

Gute Ideen sind wie das Trojanische Pferd: Sie kommen attraktiv verpackt daher, so dass der Mensch sie gerne hereinlässt. Erst dann entlarven sie ihr wahres Ziel: Eroberung.

Leitbild der Werbeagentur Jung von Matt

Noah-Plakat

Aufgefallen war mir dieses Plakat schon vor einigen Wochen. Die Idee, den Umriß eines Auges mit zwei kleinen Häkchen an der auslaufenden Sichel zur Silhouette eines Fisches umzuformen, fand ich sehr gelungen. Nun hat es einen feisten Preis gewonnen und ist deshalb noch einmal massiv im Berliner Stadtbild (und nicht nur dort) zu sehen.

So schön die Idee mit der Silhouette ist, so häßlich ist ihre Kehrseite. Die beigefügte Textbotschaft der Tierschutzorganisation Noah e.V. bringt uns auf den Weg: “Japan jagt noch immer” oder auch “Japan is still whaling”. Die Gleichung des Plakats lautet also: Japan = “Schlitzauge”. Es bedarf kaum einer Erläuterung: Weder sind alle “Schlitzaugen” Japaner, noch geht die Gleichung andersherum auf. Und gemeint sind mit “Japan” ja auch nicht alle “Schlitzaugen” weltweit, nicht alle japanischen Einwohner, sondern lediglich die aktuell Regierenden des Staats Japan.

Das Symbol des “Schlitzauges” ist in diesem Zusammenhang nicht nur unpräzise und unangebracht, sondern rassistisch.

12. Oktober: Führung Friedhof Columbiadamm

Am Sonntag, den 12. Oktober, 11 Uhr, findet wieder eine Führung über den Friedhof Columbiadamm (Berlin) mit mir statt (weitere Termine: 2. November und 7. Dezember). Interessenten werden gebeten, sich unter der Nummer (030) 6809-2535 beim Museum Neukölln anzumelden. Treffpunkt ist der Haupteingang des Friedhofs (Columbiadamm 122). Dauer: etwa 2 Stunden, Kostenpunkt: 5,- €, ermäßigt 3,50 €, weitere Informationen hier.

Auf dem Marsch

Die Beine baumeln in den Hüften
Und unsre Knie beugen sich nach vorne tiefer.
Sehr langsam wird die Straße überwunden.
Durch Brandstätten und Mordfelder,
Vor denen uns nicht mehr schauert.
Durch neue Ernte, und Sonne, Sonne,
Die uns nicht mehr wärmt.
Vom vielen Hängen sind die Hände geschwollen.
Das böse Schuhzeug reißt die Füße wund.
Von Schweiß und Staub ist das Gehirn verklebt.
Schlapp zum Hinschlagen.
Aber die Herde treibt alle weiter.
Aus müden Mündern fallen lalle Lieder.
Nur um den Takt.
Kein Mensch freut oder ärgert sich
Über den lieben Gott oder das Vaterland,
Von dem sein Sang singsangt.
Es gibt überhaupt nicht Freude und Haß mehr in uns.
Wir sind so sehr verkommen.
Nur selten richten sich Lustigkeiten auf
Und sind mechanisch.
Manchmal (sehr trostlos) quält einen
Eine Erinnerung: Du meine Mutter
Und: Du meine liebe Frau.
Dann wieder fällt er in die alte Starre
Und stiert vor sich, auf die Kanonenräder,
Die mühsam greifenden,
Wie vom zermahlenen Stein
Die Pulverwolke steigt.
Die Marschkolonne hat den Gleichschritt aufgegeben.
Jeder pendelt im Gleichschritt seiner Körpermaschine.
Irrsinnig eintönig. Irrsinnig eintönig.

Oskar Kanehl, zuerst in: Die Aktion, Nr. 5, Berlin, 25. September 1915, Sp. 489f.

[Heute vor 120 Jahren wurde Oskar Kanehl in Berlin geboren.]

Prof. Dr. Landsturm (1813)

Die Professoren der Universität Berlin bildeten einen eigenen Trupp und übten sich häufig in den Waffen, der kleine bucklige Schleiermacher, der kaum die Pike tragen konnte, auf der äußersten Linken, der baumlange Savigny auf dem rechten Flügel; der lebhafte knirpsige Niebuhr exerzierte, daß die nur federgewandten Hände dicke Schwielen bekamen; der ideologisch tapfere Fichte erschien bis an die Zähne bewaffnet, zwei Pistolen im breiten Gürtel, einen Pallasch hinter sich herschleppend, in der Vorhalle seiner Wohnung lehnten Ritterlanze und Schild für sich und seinen Sohn. Der alte Schadow führte die Schar der Künstler, Iffland die Helden der Bühne; diese wie jene meist abenteuerlich-mittelalterlich und phantastisch-theatralisch kostümiert und bewehrt: Sturm- und Pickelhaube, Flamberge und sogar Morgensterne kamen zum Vorschein; man sah auf dem Übungsplatz den Waffenschmuck Talbots und Burgunds, Wallensteins und Richards des Löwenherzen. Iffland selbst erschien einst mit dem Brustharnisch und dem Schilde der Jungfrau von Orleans, was große Heiterkeit erregte.

Karl Friedrich Köppen nach: Franz Mehring, Aufsätze zur preußischen und deutschen Geschichte, Leipzig 1986, S. 251f.

[Für Hinweise auf die originale Quelle wäre ich dankbar.]

[Auf das Opfer darf keiner sich berufen]

Entwurf

[…] Immerzu müssen wir uns und alles, was wir tun, wünschen, denken, begründen; das Leben, wie wir es seit Jahrtausenden leben, ist nichts Selbstverständliches, schon frühe Aussprüche wie ‘Leben geschenkt’, ‘Gnade’, ‘Befreiung’, deuten auf die gigantische Unselbstverständlichkeit. Alle diese Worte müßten verschwinden. Hier wird nicht mehr geschenkt, begnadigt, befähigt, anerkannt etc., wenn hier dies nicht mehr getan wird – es wird das Morgenrot sein.

Eben deshalb darf es keine Opfer geben (Menschenopfer), Menschen als Opfer, weil der geopferte Mensch nichts ergibt. Es ist nicht wahr, daß die Opfer mahnen, bezeugen, Zeugenschaft für etwas ablegen, das ist eine der furchtbarsten und gedankenlosesten, schwächsten Poetisierungen.

Aber der Mensch, der nicht Opfer ist, ist im Zwielicht, er ist zwielichtige Existenz par excellence, auch der beinah zum Opfer gewordene geht mit seinen Irrtümern weiter, stiftet neue Irrtümer, er ist nicht ‘in der Wahrheit’, er ist nicht bevorzugt. Auf das Opfer darf keiner sich berufen. Es ist Mißbrauch. Kein Land und keine Gruppe, keine Idee, darf sich auf ihre Toten berufen.

Aber die Schwierigkeit, das auszudrücken. Manchmal fühl ich ganz deutlich die eine oder andere Wahrheit aufstehen und fühle, wie sie dann niedergetreten wird in meinem Kopf von anderen Gedanken oder fühle sie verkümmern, weil ich mit ihr nichts anzufangen weiß, weil sie sich nicht mitteilen läßt, ich sie nicht mitzuteilen verstehe oder weil gerade nichts diese Mitteilung erfordert, ich nirgends einhaken kann und bei niemand.

Ingeborg Bachmann, Typoskript 1771, 3693 (= S. 1-2) aus dem Nachlaß, ohne Titel, nach: dieselbe, Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar, München 1981, S. 135