20. Juli 1944

21. Juli 1944

Das Attentat also auf Herrn Hitler. Exekutiert durch einen Grafen Stauffenberg […]. Dahinter: ein Putsch der Generäle, lange erwartet. Ah, wirklich also? Ein wenig spät, Ihr Herren, die Ihr diesen Erzzerstörer Deutschlands gemacht habt, die Ihr ihm nachliefet, solange alles gut zu gehen schien, die Ihr, alle Offiziere der Monarchie, unbedenklich jeden von Euch gerade verlangten Treueid schworet, die Ihr Euch zu armseligen Mamelucken des mit hunderttausend Morden, mit dem Jammer und dem Fluch der Welt belasteten Verbrechers erniedrigt habt und ihn jetzt verratet, wie Ihr vorgestern die Monarchie und gestern die Republik verraten habt. […] Kokotten jeder Euch just passenden politischen Konjunktur, Renegaten Eurer Vergangenheit, traurige Beischläfer dieser industriellen Oligarchie, mit deren Machtanspruch die Zersetzung unserer gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen begann, armselige Planer dieses mißglückten Einbruchdiebstahls, dessen Planung selbst ein Maximum darstellt an politischem Dilettantismus und geopolitischer Unbildung …

[…] Sie decken durch Jahre jeden Verrat, jede Mord- und Schändungsorgie, die deckten sie, weil dieser Hitler sie wieder zum Exponenten dieses preußisch mißbrauchten Deutschlands machte, sie standen, bewaffnete Schreier, bei jedem seiner Schurkenstreiche, sie pfiffen auf das Elend all der Bombenopfer, der Häftlinge in den Konzentrationslagern und der Geistesverfolgung, sie pfiffen auf Deutschland und seinen Geist, weil jede Änderung des Regimes ein Ende ihrer Macht bedeutet hätte …

Und sie verraten jetzt, wo der Bankrott nicht mehr verheimlicht werden kann, die pleitegehende Firma, um sich ein politisches Alibi zu schaffen … sie, die als platteste Machiavellisten noch alles verraten haben, war ihren Machtanspruch belastete.

Das Land trauert um den Mißerfolg dieser Bombe, und ich kann es unmöglich zum Ausdruck bringen, in welchem Maße diese allgemeine Landestrauer auch die meine ist. Die Generale aber? Man soll sie, wenn man Deutschland von der preußischen Häresie befreit, vernichten. Zusammen mit den industriellen Anstiftern dieses Krieges, zusammen mit seinen journalistischen Barden, zusammen mit Herrn Meißner und Hindenburg jun. und nicht zuletzt mit all dem Klüngel, der für das ungeheuerliche Verbrechen des 30. Januar 1933 verantwortlich ist. Diese aber sollen zwanzig Fuß höher hängen als die übrigen.

Mögen die Lebendbleibenden ihr Leben vom Verkaufen von Zündhölzern und Altpapier fristen …

Als Karikaturen ihrer gestohlenen Macht, als Anstifter unermeßlichen Elends.

Ich kann nicht anders.

Friedrich Percyval Reck-Malleczewen, Tagebuch eines Verzweifelten (mit einem Vorwort von Bernt Engelmann), Berlin, Bonn 1981 (1947), S. 159ff.

Führung Friedhof Columbiadamm

Am Sonntag, den 20. Juli, 11 Uhr, findet wieder eine Führung über den Friedhof Columbiadamm (Berlin) mit mir statt (weitere Termine: 10. August, 7. September und 12. Oktober). Interessenten werden gebeten, sich unter der Nummer (030) 6809-2535 beim Museum Neukölln anzumelden. Treffpunkt ist der Haupteingang des Friedhofs (Columbiadamm 122). Dauer: etwa 2 Stunden, Kostenpunkt: 5,- €, ermäßigt 3,50 €, weitere Informationen hier (ganz unten).

Abends zähl ich Lamm um Lamm …

Abends zähl ich Lamm um Lamm,
lehnend an dem Feigenstamm,
gebe jedem seinen Namen,
streu mein Herz als wilden Samen
in den Wüstenwind.
Ruf die Sichel frühen Mondes,
daß sie mir ein weiches blondes
Gräslein mähe für mein Kind.
Eine schlanke Ringelnatter
bitte ich mir zum Gevatter
und sie hängt ihr zieres Krönlein
freundlich für mein Wundersöhnlein
auf im Feigenbaum.
Aber dann die Morgenröte
weckt mit ihrer Sorgenflöte
jäh mich aus dem Traum.
Hab kein Kindlein, keine Tiere,
und der Stamm, an dem ich friere,
trägt nicht eine Frucht.
Lauernd und verrucht
kühlt die kronenlose Schlange
meine warmgeträumte Wange.

Christine Lavant, zuerst in: dieselbe, Die Bettlerschale, Salzburg 1956, hier nach: Hubert Fichte, Mein Lesebuch, Frankfurt am Main 1976, S. 186f.

Venezolanische Charme-Offensive

Der hochbegabte venezolanische Exportschlager Gustavo Dudamel und seine Sinfónica de la Juventud Venezolana Simón Bolívar machen nicht einfach nur Musik. Das ist hinterhältigste bolivarische Propaganda, gegen die nicht einmal unser konservatives Bürgertum gefeit ist. Guerillakampf war gestern. Die nächste Revolution beginnt in den Konzertsälen. Und hier ist sie auch notwendig, wußte doch schon Walter Hasenclever: Die Mörder sitzen in der Oper.

Dudamel präsentiert den 2. Satz der 10. Sinfonie, mit dem Dmitri Schostakowitsch versuchte, Stalin zu charakterisieren. Und Freunde hinkender Vergleiche brauchen nur noch eins und eins zusammenzuzählen.

Wer dennoch (oder gerade deshalb) von Schostakowitsch nicht lassen kann, dem sei das Buch Stalin und Schostakowitsch von Solomon Wolkow ans Herz gelegt. Alle anderen sollen sich an Christoph Twickels ChávezBiografie abarbeiten.

Vorsicht, Reklame!

URINTINTE empfiehlt Adblock Plus. Eine nützliche Anleitung zur Installation dieses fantastischen Werbekillers findet sich hier. Er funktioniert so gut, daß man sich wundert, warum ihn nicht schon jeder benutzt und wo das Gegenmittel der Werbeindustrie bleibt.

In diesem Fall ist er allerdings machtlos:

Am Sonntag, den 29. Juni, 11 Uhr, findet wieder eine Führung über den Friedhof Columbiadamm (Berlin) mit mir statt. Interessenten werden gebeten, sich unter der Nummer (030) 6809-2535 beim Museum Neukölln anzumelden. Treffpunkt ist der Haupteingang des Friedhofs (Columbiadamm 122). Dauer: etwa 2 Stunden, Kostenpunkt: 5,- €, ermäßigt 3,50 €, weitere Informationen hier (ganz unten).

Über den Begriff der Geschichte

IX
[…]
Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.

Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, nach: derselbe, Gesammelte Schriften, Band 1, Teil 2 (hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser), Frankfurt am Main 1980, S. 697f.

Hier werden Sie enteignet: ZiF PhotoAward

Selten genug gibt es Fotowettbewerbe, die eine interessante Herausforderung für Fotografen darstellen. Kontrolle der Gewalt lautet das Thema des ZiF PhotoAward 2008 und bildet damit eine rühmliche Ausnahme:

Welche Rolle spielen Gewalt und ihre Kontrolle in Gesellschaften innerhalb und außerhalb Europas? Erleben wir Kontrollverlust oder Kontrollexzess, einen Rückgang von Gewalt oder Gewaltexzess? Wie formen und prägen Gewalt und Kontrolle unsere Wahrnehmung? In welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Der ZiF PhotoAward 2008 sucht nach Bildern, die Antworten auf diese und angrenzende Fragen geben.

Liest man dann weiter, daß eine aus unterschiedlichen Fachdisziplinen zusammengesetzte seriöse Jury drei Geldpreise zwischen 250,- und 1000,- € vergibt und der Wettbewerb nicht etwa von Blackwater oder einem anderen privaten Gewaltdienstleister, sondern vom Zentrum für interdisziplinäre Forschung an der Universität Bielefeld ausgeschrieben ist, bilden sich vor dem inneren Auge bereits die ersten Ideen. Doch dem seltenen Glück der geistigen Anregung folgt rasch die Ernüchterung, wenn man einen Blick auf die Teilnahmebedingungen wirft:

Es können bis zu 5 Fotografien im Format 20 cm x 30 cm gedruckt auf hochwertigem Fotopapier, sowohl in Farbe als auch in Schwarz-Weiß, eingesandt werden. […] Die Teilnehmer erklären sich einverstanden, dass mit der Einsendung der Besitz der Bilder an das ZiF übergeht.

Frei nach dem Motto “Wenn Sie uns schon Ihre Bilder schenken, werden wir Sie doch zumindest umsonst nutzen dürfen” gestaltet sich die weitere Expropriation total und gilt nicht etwa nur – in aller Bescheidenheit – für die prämierten Fotos:

Alle eingereichten Arbeiten dürfen für den Wettbewerb und publizistische Auswertung genutzt werden. Das ZiF hat insbesondere das Recht, die von der Jury zu diesem Zwecke ausgewählten Arbeiten auszustellen sowie in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Publikationen zu veröffentlichen. Für diese Nutzung können die Teilnehmer keinen Anspruch auf ein Nutzungshonorar geltend machen. [Hervorhebungen von mir]

Aufmerksam auf diese unverschämten Bedingungen macht auch der Fotowettbewerbe-Blog von Ulla Schmitz (bzw. ihr Newsletter Fotografie). Das ZiF hielt es nicht für nötig, eine freundlich auf diese Umstände hinweisende E-Mail von mir zu beantworten. Im Gegensatz zum Jury-Mitglied Prof. Gottfried Jäger, der sich für den Hinweis bedankte und versprach, sich darum zu kümmern. Seine Antwort steht noch aus. Und bis dahin empfehle ich, die Klassiker der Enteignung, genauer der Eigentums-Kritik, Proudhon und Kropotkin zu lesen.

Nachtrag, 19.06.08:

Das ZiF hat nun doch reagiert und erläutert die Wettbewerbsbedingungen:

[…] Der ZiF-PhotoAward 2008 möchte Arbeiten prämieren, die ein bestimmtes Thema künstlerisch hervorragend darstellen. Dieser Wettbewerb verfolgt keinerlei kommerzielle Zwecke und ist für die Teilnehmer natürlich kostenlos. Lediglich für die Durchführung der Veranstaltung, deren Berichterstattung und eigene Veröffentlichungen in Bezug auf den Award benötigt das ZiF ein nicht ausschließliches Nutzungsrecht an den Arbeiten. Das bedeutet, dass die Teilnehmer ihre Arbeiten selbstverständlich anderweitig nutzen und verwerten können. Sollten Arbeiten tatsächlich für weitere kommerzielle Zwecke außerhalb des Wettbewerbs genutzt werden, würde dies nur mit Zustimmung der Teilnehmer unter Abschluss einer gesonderten Vereinbarung erfolgen.

Die Formulierung, dass der Besitz der Bilder an das ZiF übergeht, bedeutet nicht, dass das ZiF sämtliche ausschließliche Nutzungsrechte daran erhält und frei in der Verwertung ist. Daran besteht auch kein Interesse. Aus Gründen der Minimierung des Verwaltungsaufwandes und angesichts heute einfacher und preiswerter (digitaler) Produktions- und Reproduktionstechniken der verhältnismäßig kleinen Bildformate (DIN A4) hielten wir die Nichtrücksendung der eingereichten Arbeiten für zumutbar. Die Teilnahme sollte nicht durch hohe Materialität (“Materialschlacht”), sondern allein aufgrund inhaltlich-konzeptioneller Qualität entschieden werden. Zur Vermeidung von Missverständnissen werden wir die Formulierungen im kommenden Jahr aber anpassen. […]

Ich freue mich, daß die mehr als fahrlässigen Formulierungen so nicht gemeint waren, hiermit klargestellt sind und sich der Wettbewerb nun so darstellt, wie er mir bereits zu Anfang erschien: als eine interessante Herausforderung.