Madrigale an Gott

I.

Gott, ändere mich! Ändere meine Sucht,
sterben zu wollen … Aber Du schweigst
über den Wunden des verlorenen Schäfleins,
über dem Sterbenden, der schön
ist von nackter Sehnsucht.
Und nunmehr sind nicht einmal mehr vermessen
meine, des schüchternen Rebellen, Schmähungen:
dort wo Du schweigst,
schweigt mein nicht mehr entrüstetes Herz,
ohnmächtiger Zuschauer,
mitwissender Hüter:
nur daß die Feigheit keine Mäßigung kennt.

II.

Meine lange Vakanz ist zu fröhlich
und meine abgestumpfte Freiheit
im Verachten wird zum
Mißbrauch, stockendes Leben meiner Träume.
Idiotengott, gebiete mir
meine Unaufrichtigkeit und, so ich,
ehrlich, Dich in jeder
meiner Taten schmähe, beschäme mich!
(Du läßt dich schmähen … Bist die Schmähung!
Und kannst mich nicht strafen
noch am Ende schrecken:
der nicht zu Dir betet, ist nicht reif.)

III.

Verstoße oder leite irr den schüchternen Knaben
mit der entfesselten Kunst der Freude
Vergnügen oder Verdruß,
und der Vater ist machtlos mit dieser BLUME.
Nicht der Azur ist schuldig
an seinem Azur, und was nützt,
ihn zu strafen? Er hat kein Herz.
Dann aber: Du ERZEUGER,
töte mich: oder willst Du, daß ich
noch weiter Dich höhne
mit leichter
Arglosigkeit? (Es ist wirklich
ein Kind, das dich fordert.)

IV.

Als noch der Welt das Herz und dem Herzen
die Welt verborgen war, glühte ich, scheu und hingerissen
von stolzer Befriedigung
und mein Leben aus Fehlern war ein Roman …
Ein verlorner Roman
zwischen den glücklichen Phantomen
dessen, der an einer Liebe stirbt, die er nicht kennt.
Jetzt wiederholt das stumme Weiß
dieser letzten Seite, das entblendete
Heute, ein einziges
Wort, ein einziges
Wort, wiederholt wie im Wahn.

V.

Als ich nicht mehr aus Liebe weinte,
sah ich deinen Blitz in meinen Tränen,
nicht Dich, Deinen Blitz, nicht Deine
heiligen Engel, aber doch Deine herzlosen Engel.
Doch die Viole hat gesungen und
verstummen kann sie nicht mehr: sie singt,
sie lästert Dich …
Du willst keinen Gesang, willst nur Treue!
Du verlangst Nüchternheit, ich fürchte sie,
Du verlangst das Vergessen und ich zittre
nur vor Erinnerungen. Darum führt
Dein Licht, das in mir ist, nicht zu Dir.

Pier Paolo Pasolini, 1948/49, nach: derselbe, Die Nachtigall der katholischen Kirche, München 1989, S. 178-183 (Übersetzung von Toni und Bettina Kienlechner)

[Heute vor 33 Jahren wurde Pier Paolo Pasolini ermordet.]

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert