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1. März:
Nürnberg — hinter uns. Gerade in Berlin angekommen. Wir warten auf gutes Wetter. Eventuell werden wir übermorgen nach Moskau fliegen. Von unserer Delegation sind nur fünf Mitglieder aufgetreten. Der Gelehrte Orbeli, der Bauer Jakov Grigor’ev, dessen Haus im Dorf Kuznecov (Oblast Pskov) von den Deutschen angezündet wurde, wobei seine ganze Familie, eine Frau, zwei Kinder und ein Neffe, verbrannte. Grigor’ev selbst kam es im letzten Moment in den Sinn, seinen verletzten 11-jährigen Sohn Lioska zu packen, mit ihm aus dem Fenster zu springen und zu fliehen. In dem angezündeten Haus, aus dem Grigor’ev mit seinem Sohn floh, verbrannten 17 Menschen.
Grigor’ev, ein einfacher russischer Bauer, Vorsitzender der Kolchose ›Proletarskij Trud‹ (Proletarische Arbeit), redete, wie man sagt, gut. Die Verteidiger hatten keine Nachfragen.
Als dritter trat Dr. Kivil’sa auf — er sprach über die Vernichtung der Kriegsgefangenen in Uman’, Zmerinka. Er verlor, wie man hört, kein überflüssiges Wort.
Der vierte war ich und der fünfte war der Leningrader Priester Lomakin.
Lomakin, dessen süßliche, salbungsvolle Ausdrucksweise nicht das geringste Vertrauen erweckt, erschien auf dem Prozess ausstaffiert im vollen Ornat: ein schwarzes, samtenes Priestergewand bis zu den Absätzen, hinten versehen mit glänzenden Knöpfen, und vorne auf der Brust zwei mit ›Brillanten‹ besetzte, große ›goldene‹ Kreuze, welche bei allen im Gerichtssaal Anwesenden die Augen blendeten. Ach ja, außerdem trug er noch einen funkelnagelneuen Orden ›Für die Verteidigung Leningrads‹.
Aber abgesehen von all seinem Blendwerk, von seinen zitternden Händen (die ganz absichtlich zitterten) und von seiner weinerlichen Stimme (die ganz absichtlich weinte), hinterließ sein ganzer Vortrag nicht den geringsten Eindruck. Seine Worte kamen aus der Kehle, nicht aus dem Herzen. Auch sein patriotisches ›Happy End‹, alle hätten wie ein Mann Leningrad verteidigt — war fehl am Platz.
Ich habe den Eindruck, das moralische Gewicht eines solchen Lomakin hat keinerlei Bedeutung. Von solchen Leuten ist alles zu erwarten. Dass er die Juden hasst, war leicht an seinen Ammenmärchen zu erkennen. So erzählte er uns beispielsweise, in Leningrad kämen jüdische Frauen zu ihm und flehten ihn an:
»Väterchen, nimm uns in den orthodoxen Glauben auf!«
»Warum tun sie das?«, frage ich ihn, als würde ich seinen Worten Glauben schenken. Und Lomakin antwortet: »Die Frauen bestehen darauf, sich vom jüdischen Glauben loszusagen, weil die Juden sich im Krieg als Feiglinge erwiesen haben.«
Auf Streichers Gehöft halten sich derzeit achtzig Juden auf, Überlebende aus den Todeslagern. Am Gebäude hängt eine blaue Fahne. Die Jugendlichen erhalten eine landwirtschaftliche Ausbildung und bereiten sich darauf vor, nach Palästina zu immigrieren.
Auf dem Fragebogen, den die Amerikaner den Juden zum Ausfüllen gaben, standen drei Fragen: 1. Möchten Sie in Deutschland bleiben? 2. Möchten Sie in Europa bleiben? 3. Wohin möchten Sie emigrieren? Auf die erste Frage haben alle mit ›nein‹ geantwortet. Auf die zweite — ebenfalls mit ›nein‹. Und auf die dritte lautete die Antwort: ›Entweder nach Erets Israel oder ins Krematorium.‹